Postbus Very British
06. 10. 2020
Warum der Busfahrer Simon Persaud aus London den Doppeldecker mit dem Postbus eingetauscht hat.
06. 10. 2020
Warum der Busfahrer Simon Persaud aus London den Doppeldecker mit dem Postbus eingetauscht hat.
"Ich liebe das! Es ist der beste Job. Der beste Job der Welt!“ lacht Simon, während er den Postbus durch die herbstlichen Wälder und beschaulichen Städtchen des Wienerwaldes lenkt. Dabei ist der 50jährige vor gar nicht so langer Zeit hinter dem Lenkrad von einem der legendären Doppeldeckerbusse Londons gesessen.
Doch jetzt heißt es für ihn Wienerwald statt Großstadtdschungel, Pressbaum statt Paddington, Hütteldorf statt Trafalgar Square.
„Nach Österreich bin ich gekommen, weil meine Frau Österreicherin ist. Sie wollte nicht mehr in London bleiben und jetzt sind wir hier. Und jetzt bin ich Busfahrer hier.“ erklärt Simon, wie es ihn hierher verschlagen hat.
Ein Teil von Simon war immer schon österreichisch. Seine Mutter war Schneiderin aus Eisenstadt und ging 1958 nach London. Sie lernte dort auf einer Hochzeit Simons Vater kennen, der aus Britisch-Guayana in Südamerika in die Hauptstadt des Commonwealth gekommen war.
Er war dem Ruf von London Transport gefolgt, die in den Kronkolonien neue Busfahrer gesucht hatten. Und so war schon sein Vater mit dem Stockbus in London unterwegs, was einen mächtigen Eindruck auf den kleinen Simon gemacht hat.
„Das war so wow, die rote Farbe des Busses, dieser Geruch, die Uniform…“ erinnert er sich.
Der Lehrer hat mich in der Schule gefragt: „ Simon, was willst du werden wenn du erwachsen bist?“ Und ich habe geantwortet: „Busfahrer.“ Er hat das nicht verstanden und gemeint, es gibt bessere Jobs, zum Beispiel in einer Bank oder im Büro. Da habe ich entgegnet: „Für sie ja, für mich nein! Ich will Busfahrer werden.“ erinnert sich Simon und amüsiert sich darüber noch heute. Sein Kindheitstraum wurde wahr, er begann zunächst als Schaffner bei London Transport. Zwei Jahre später hatte er sein Ziel erreicht. Er war nun selbst Busfahrer. Das war vor 33 Jahren.
„Das war eine tolle Zeit. Ich war in ganz London unterwegs, bin die berühmten Stockbusse gefahren, aber auch Singledecker. Die Doppeldecker sind natürlich etwas ganz besonderes. Du bist da nicht nur eine Touristenattraktion, du bist ein Teil von London. Du bist London.“
Simon arbeitet nicht nur im Wienerwald, er hat auch hier eine neue Heimat gefunden und lebt in einem Haus im Heimbautal. Wenn ihn doch die Sehnsucht und Nostalgie nach der Großstadt packt, bastelt er dort an einem Modell einer originalen Busgarage aus seiner Londoner Zeit. Oder er erfreut sich an seiner Sammlung von hunderten Miniaturbussen, die in drei Glasvitrinen feinsäuberlich aufgereiht sind. Zu seinem Privatmuseum gehören auch Erinnerungsstücke wie seine Originaluniform und sein Badge, seiner Fahrerplakette.
Zurück möchte er trotzdem nicht mehr. Dazu geniest er die frische Waldluft und das Landleben zu sehr. „Ich könnte das nicht mehr. Das ist mir zu stressig. London hat sich verändert und hier ist es einfach perfekt. Ich will es nicht mehr und nicht weniger.“ sagt er, während der Bus beim Rapidstadion vorbeifährt. Als er das Stadion sieht, hebt er einen Arm wie zum Gruß und ruft „Fulham!“. FC Fulham, das ist seine Londoner Lieblingsmannschaft. Dem heimischen Fussballgeschehen kann er wenig abgewinnen. Sorry, Rapid.
Beim Postbus beginnt sein Dienst unter der Woche bereits um halb fünf Uhr früh, die Mitfahrenden sind zu dieser Uhrzeit fast immer die Gleichen.
„Hier im Wienerwald bin ich der Communitydriver“ meint Simon, während seine Fahrgäste ein und aussteigen. Die Allermeisten kennt er und sie kennen ihn.
„Zum Beispiel gibt es hier an der nächsten Haltestelle auf der linken Seite eine alte Dame. Sie redet immer mit mir.“ erzählt er. „Sie sagt immer, das ist so schön, weil sie mit mir reden kann, denn sie hat niemanden zuhause zum Reden. Sie hat mich gefragt, ob es für mich okay ist, wenn sie mit mir im Bus sitzen kann. Und ich habe ihr geantwortet, dass sie den ganzen Tag mit mir fahren kann, wenn sie möchte.
Ich bin da halt mehr als nur ein Busfahrer. Kein Socialworker, aber mehr als ein Busfahrer.“ freut sich Simon und meint dass es im Londoner Nachtbus auch nicht viel anders war. Er findet auch einen vergleichbaren Beruf: „In England, da gibt es den Publican. Das ist der Besitzer eines Pubs. Da kommen die Leute auch um zu reden.“ lacht er und ergänzt, dass er gerne redet.
Das Einzige, was er in Österreich nach wie vor komisch findet ist, dass das Lenkrad auf der falschen Seite ist. Very British indeed.
Übrigens: Ihr kennt jemanden, der eine tolle “Gleisgeschichte” zu erzählen hat? Dann meldet euch per Mail an social-media@oebb.at