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Gleisgeschichten: Der fahrende Stammtisch im RJX

18. 12. 2024

Triggerwarnung für Morgenmuffel: Die auffallend prächtige Laune und Lautstärke der in folgender Gleisgeschichte gezeigten Personen könnte auf euch eine ansteckende Wirkung haben.

Wörgl Hauptbahnhof, kurz vor 7 Uhr morgens:

Martina, Peter, Johannes und Helmut begrüßen sich wie Leute, die sich seit Jahrzehnten kennen. Tun sie auch.

Ihr Ziel: diverse Arbeitsstätten in Innsbruck.

Ihr Zwischenziel: das Bordrestaurant im RJX.

Hauptbahnhof Wörgl
Am Bahnsteig

7:10 Uhr: Am Bahnsteig stößt das Quartett auf weitere Pendler:innen.

7.19 Uhr: Der RJX 366 fährt ein. Das Bordrestaurant füllt sich rasch. Kaffee, Tee und Mineralwasser werden bestellt, der DoN’s Mitarbeiter hat alle Hände voll zu tun – die Fahrtzeit bis Innsbruck beträgt schließlich nur 25 Minuten.

Boardrestaurant

Zugfahren hält zusammen

Würde draußen nicht die Landschaft vorbei rauschen, könnte man annehmen, sich in einem Wirtshaus zu befinden – derart ausgelassen ist die Stimmung. „Wir sind halt mitteilungsbedürftig und lachen gerne“, hält Helmut fest. Er und Johannes kennen sich seit dem Gymnasium. Richtig kennengelernt haben sie sich aber erst im Zug. „In der großen Runde rennt der Schmäh. In einem 4-Augen Gespräch dreht es sich durchaus auch um ernste Themen“, so Johannes. Helmut ergänzt: „Wir sind zusammen alt geworden, 30 Jahre Pendeln verbindet. Unsere Kinder sind gemeinsam groß geworden obwohl sie sich gar nicht kennen.“ Johannes schiebt nach: „Manche von uns verbringen mehr Zeit mit der Pendlergruppe als mit dem Partner.“ Nicht so bei Martina und Peter.

Zugfahren hält zusammen

Eine Verbindung fürs Leben

Bei ihnen hat sich eine besondere Verbindung durch das Pendeln angebahnt: eine Ehe. Erste zarte Blicke wurden am Bahnsteig ausgetauscht, irgendwann auch die Nummern. Und an einem kalten Augusttag kam es zum ersten Kuss. Mittlerweile ist das Paar seit 9 Jahren verheiratet und wohnt mit seiner 5-jährigen Tochter nur einen Steinwurf vom Bahnhof entfernt. „Eigentlich hätten wir im Zug heiraten müssen“, schmunzeln die Turteltäubchen.

Verbindung fürs Leben
Verbindung fürs Leben

Pflichttermine

Abgesehen von dieser fixen Verbindung ist es ansonsten eine lose Truppe: Nicht jede:r fährt an jedem Tag und das nicht immer zur gleichen Uhrzeit, es kommt vor, dass jemand nach einem anstrengenden Arbeitstag lieber in Ruhe fern der Gruppe sitzt - es ist ein ungezwungenes Zueinanderfinden. „Man weiß nie, wen man trifft“, so Johannes.

Seit einiger Zeit gibt es eine Whatsappgruppe mit dem treffenden Titel „Speisewagen“. Sie zählt 29 Mitglieder. Der Termin für die Weihnachtsfeier wird dort bereits ab Sommer diskutiert. „Ich muss ja wissen, wann die ist, damit ich das in der Arbeit klarstellen kann, dass dieser Termin bereits tabu ist“, meldet Helmut. Chor- und Theaterauftritte werden zusätzlich zur Bekanntgabe im Zug auch via Whatsapp verbreitet – im Publikum sitzt dann immer das eine oder andere Mitglied der Zuggemeinschaft. Ein Fixpunkt mit großem Zulauf ist der Pendlerskitag, der traditionell am Faschingsdienstag abgehalten wird. Heuer ging es ins Brixental: „Je nach Wetter wird mal mehr, mal weniger skigefahren“, erzählt Johannes. Ein Mitschnitt per Video lässt darauf schließen, dass es heuer eher weniger Pistenkilometer geworden sind.

Wer zahlt?

Tabuthemen gibt es keine – einziges Streitthema ist die Rechnung. „Es zahlt immer eine Person für alle. Man muss sich fast darum raufen, dass man zahlen darf“, so Martina. Beim Thema Auto hat es sich jedoch schnell ausgeredet: „Mit 100 km/h auf der Inntalautobahn? Das ist keine Option“, hält Johannes fest. Die Zugfahrt wird als Freizeit verbucht: „Wir müssen nach der Arbeit nicht mehr ins Wirtshaus gehen, das haben wir im Zug schon erledigt“, stellt Johannes klar. Mitunter geht es so lustig zu, dass die Fahrt über Wörgl hinaus gedauert hat. Peter fand sich mal in Rosenheim wieder, auch von Attnang-Puchheim ist die Rede.

Innsbruck, 7:44, alle packen zusammen. Kurz vor dem Aussteigen wird noch ein Wunsch in Richtung ÖBB abgegeben: Das Bordrestaurant ist zu klein, es möge bitte größer werden.

Stammtisch

Video: News on Video/ Markus Riedl

Fotos & Text: ÖBB/ Kathi Helm