Ab in den Süden – #STPSIZILIEN

03. 12. 2019

Mit dem Zug nach Sizilien, das klingt für die meisten nach einer Ewigkeit, nach Anstrengung, nach Schwitzen im Sitzen, also eher nicht nach Urlaub.

Ein Gastbeitrag von Sophie

Oft sind wir während unserer Reise gefragt worden, warum wir nicht einfach fliegen würden. Ja, warum eigentlich? Weil Zugfahren Spaß macht? Weil man wieder ein Gefühl für Distanzen bekommt? Weil man überall entspannt ankommt? Weil es umweltfreundlicher ist als zu fliegen? Weil einen diese Art, „langsam“ zu reisen – wenn man 300 km/h als langsam bezeichnen möchte – erdet, weil sie einem die im Alltag oft verlorene Muße wieder näherbringt, weil man stundenlang aus dem Fenster sehen kann, aber auch einfach sein Buch weiterlesen kann, eine Serie schauen, mehrere Hefte voller Kreuzworträtsel lösen, arbeiten, einen Podcast hören (ich empfehle „Erklär mir die Welt“), … und kaum sieht man wieder aus dem Fenster, zieht das Meer an einem vorbei.

Das Urlaubsziel: Slow Traveling

Die Liebe für Italien und die Sehnsucht nach einer Interrailreise zu vereinen stand schon seit Längerem ganz oben auf meiner Liste. Da ich Italienisch studiere, wird einfach jeder Trip ins Belpaese als Studienreise verbucht. Diesen Sommer konnte ich mein Vorhaben endlich in die Tat umsetzen und nach langen Vorbereitungen wie der Bestellung des Interrailpasses, der Planung der Route, sowie der Reservierung der Züge und Unterkünfte, konnte es endlich losgehen:

13 Tage Urlaub, 7 Tage Zugfahren bis ans südlichste Ende Italiens und wieder zurück, insgesamt 4800 Kilometer. Dabei ging es mir und meiner Reisebegleitung nicht darum, möglichst schnell in Sizilien anzukommen, sondern möglichst viel zu sehen und einige Zwischenstopps einzulegen. Reine Fahrtzeit bis nach Palermo wären nur 22 Stunden, doch wir ließen uns 5 Tage Zeit, um so wenig Stress wie möglich zu haben und alle persönlichen Must-Sees abgeklappert zu haben.
Für unsere Reise eignete sich der Interrail One Country Premium Pass am meisten, weil hier Zugfahrten in einem Land sowie die Reservierungen inkludiert sind. Das hat sich mehr als ausgezahlt, da die Reservierungen in den Freccia-Hochgeschwindigkeitszügen in Italien verpflichtend sind und bis zu 10 Euro pro Person und Fahrt kosten können. Bei diesem Pass sind jedoch, im Vergleich zum Global Pass, die Hin- und Retourreise vom Wohnort nicht inkludiert. Also haben wir uns auf die Sparschiene gestürzt und mittags den Zug von St. Pölten nach Wien Meidling genommen, an den die direkte Verbindung nach Venedig anschloss, wo wir 5 Minuten vor der Zeit um 20 Uhr ankamen. Die Fahrt über den Semmering mit dem Audioguide (*im Railnet kostenlos verfügbar) war interessant und eindrucksvoll, vor allem, wenn man nebenbei im Bordrestaurant noch gut verköstigt wird. Mussten wir zu Beginn der Reise noch unsere reservierten Sitzplätze an eine Gruppe von 8 jungen Mädels verschenken, weil der Zug so voll war und sie unbedingt beieinander sitzen wollten, waren wir am Ende alleine im Waggon, ein Zustand, den ich mir bei meinen Pendelfahrten zur Uni schon öfter herbeigewünscht hatte.

Einfahrt mit dem Railjet nach Venezia Santa Lucia

Fliegst du noch oder fährst du schon?

Am nächsten Tag ging es mit einem Frecciarossa-Zug von Trenitalia weiter nach Neapel, was mehrere neue Erfahrungen bereithielt: Zweimal wurde die Fahrtrichtung gewechselt, weil sowohl Firenze Santa Maria Novella als auch Roma Termini Kopfbahnhöfe sind; zwischen Florenz und Neapel fuhren wir bis zu 300 km/h und es schien, als würde uns von der Flugreise eigentlich gar nicht mehr so viel trennen, auch weil es nur reservierte Plätze gab und deswegen beim Ein- und Aussteigen alles ein bisschen entspannter zuging; wir sahen weiß angemalte Gleise, die uns dann in ganz Süditalien begleiteten und die deren Ausdehnung bei Hitze verhindern sollen; und wir konnten erstmals zusehen, wie sich die Landschaft von Nord- nach Mittelitalien veränderte, von strahlend grün zu ausgebrannt hellbraun, da wir bis dato entweder geflogen waren, mit dem Auto gefahren waren – Autobahnaussichten sind einfach nicht zu vergleichen – oder den Nachtzug genommen hatten, der uns trotz seiner vielen Vorteile diesen Anblick nicht schenken konnte.

Ab nach Sizilien

Nach einem Tag in Neapel und drei Tagen auf der Urlaubsinsel Ischia, die wir mit der Fähre erreicht hatten und aufgrund meiner Bewunderung für Elena Ferrante unbedingt sehen mussten, ging es weiter von Neapel nach Palermo, was den längsten und anstrengendsten Tag unseres Trips darstellte. Die Freccia-Züge wurden gegen Intercitys getauscht und man merkte bald, dass es jetzt Richtung Süden ging: die Sitze waren enger und der Zug generell etwas schmaler, es gab kein WLAN und auch kein Restaurant, in jedem Abteil saßen 4 Polizisten, es war alles etwas lauter und der Zug kam mit 15 Minuten Verspätung. Da jedoch für den Halt in Neapel 15 Minuten einberechnet wurden und wir relativ bald wieder abfuhren, konnten wir die Verspätung sogar einholen, und auch die mediterrane Mentalität im Zug war uns willkommen, da wir ja hier waren, um Land und Leute noch besser kennenzulernen.
Die Aussichten wurden immer atemberaubender: Links die hohen, kahlen Berge, rechts das türkise Meer mit einzelnen Sonnenschirmen am grau-weißen Strand: Hätten wir nicht alles schon vorreserviert, wären wir einfach rausgesprungen und direkt ins Meer hinein. Als nächstes Highlight kündigte sich die Überfahrt von Kalabrien nach Sizilien an. Da es zwischen Sizilien und dem Festland immer wieder zu seismischer Aktivität kommt, ist es nicht möglich, eine Brücke über die 3 Kilometer lange Meerenge namens Straße von Messina zu bauen, auch wenn man dies seit dem 20. Jahrhundert immer wieder angesteuert hat. Deshalb wurde unser Intercity in der Hälfte geteilt, auf eine eigene Trenitalia-Fähre aufgeladen, nach Messina überschifft, und wieder ausgeladen. Das ganze Prozedere dauerte mehr als eine Stunde, die Überfahrt selbst 30 Minuten, bei denen man an Deck gehen oder sich im Shop Snacks kaufen konnte, die nach 6 Stunden Fahrt ohne Verpflegung nicht nur bei uns sehr willkommen waren. Im Hafen von Messina begrüßte uns majestätisch die Madonnina, die mit „Vos et ipsas civiltates benedictum“ eigentlich die Messiner und ihre Stadt segnet, wir fühlten uns jedoch auch angesprochen und genauso gesegnet.

Überfahrt von Kalabrien nach Sizilien

Schienenersatzverkehr der etwas anderen Art

Die Bahnstrecke von Messina nach Palermo wird schon seit längerer Zeit gewartet, weshalb wir diese Strecke mit dem Schienenersatzverkehr zurücklegten. Schon im Zug rief der Schaffner im schönsten Italienisch durch den Waggon, dass der Ersatzbus vor dem Bahnhof auf „die Palermitaner“ wartete. Sowohl am Bahnsteig als auch in der Bahnhofshalle standen Männer, die laut „PALERMO“ riefen, unsere fragenden Gesichter richtig deuteten und uns erklärten, wo der Bus auf uns wartete. Der Bus selbst war bis zum letzten Platz voll und tat sich mit der Klimatisierung schwer, die 35 Grad Celsius mit 80% Luftfeuchtigkeit taten ihr Übriges dazu, aber das wohlige Gefühl der Zusammengehörigkeit und der „Wir lassen niemanden zurück“-Mentalität der Sizilianer wurde durch Gitarre spielende Pfadfinder in der letzten Reihe unterstrichen und verdrängte das beklemmende Gefühl, drei Stunden lang in einer Sauna auf vier Rädern eingesperrt zu sein. Fünfmal wurde kontrolliert, ob ja alle im richtigen Bus saßen, und ob auch niemand vergessen wurde, und als wir mit 30 Minuten Verspätung in Palermo ankamen, merkte man an der eingetretenen Stille, dass die lange Anreise nach Sizilien zwar die wunderschöne süditalienische Landschaft zeigt und Bewusstsein über Distanzen schafft, es aber trotzdem in sich hat.
In Palermo machten wir eine Radtour mit Social Bike Palermo – was absolut zu empfehlen ist – und auch über die Stadt selbst kann man nur Gutes sagen: Sie ist hell, sauber, sicher, billig und birgt einige wunderschöne Schätze und Denkmäler. Danach durchquerten wir mit einem Regionalzug, wieder mal ohne Klimaanlage, in der Nachmittagshitze die Insel und waren begeistert von der hügeligen, ausgebrannten Landschaft, die uns an Kindheitsurlaube erinnerte, bis nach Catania, der Stadt am Ätna.

Von Catania ging es wieder mit dem Intercity über Messina und die Meerenge bis nach Neapel, wobei die 45 Minuten Verspätung bis Neapel fast vollständig aufgeholt wurden. Aufgrund der Änderung des Zugnamens ab Messina hatten wir zwei Reservierungen und mussten unsere Plätze wechseln, was uns aber gut gelegen kam: In Sizilien saßen wir rechts und sahen östlich die schönen Strände, in Kalabrien waren unsere Plätze auf der linken Seite und wir konnten wieder die ganze Fahrt über die schöne Sicht aufs Meer, diesmal auf der westlichen Seite, genießen, während wir uns mit einem sizilianischen Astronomen unterhielten.

Zugausblicke

Meerflucht

Heim von Neapel merkte man, dass es kurz vor Ferragosto, dem italienischen Feiertag, bei dem alle ans Meer flüchten, war: Der Zug war fast leer. Umso mehr genossen wir die klimatisierte, ruhige Fahrt, bei der wir wieder WLAN hatten und uns in der Strecke zwischen Bologna und Florenz, die fast vollständig im Tunnel verläuft, über Liebesgschicht’n und Heiratssachen updaten konnten. In Venedig stiegen wir in Mestre aus und nahmen eine Stunde später den Intercitybus der ÖBB, in welchem uns der Fahrer in schönstem Kärntnerisch freundlich begrüßte und uns wieder auf die Heimat einstimmte. In Villach stiegen wir aus, genossen noch drei Tage am Faaker See und nahmen den direkten, dafür etwas langsameren und um einiges billigeren Zug von Villach nach St. Pölten, der uns weitere wunderschöne Ausblicke in die Tauern und ins Gasteinertal bescherte und uns pünktlich um 18.30 wieder heil und entspannt daheim absetzte.

Fazit

Hat es sich also ausgezahlt, den Zug dem Flugzeug vorzuziehen? Für unser Vorhaben absolut. Wir wollten viel von Italien sehen, verschiedene Orte ansteuern, weder im Stau stehen noch Flugverspätungen haben und außerdem so umweltfreundlich wie möglich so weit wie möglich kommen. Insofern war der Zug die beste Wahl und kommt mit insgesamt 300 Euro pro Person im Vergleich mit dem Auto (inkl. Maut und Parken) sogar billiger, wenn man Zeit in die Vorbereitung und ins Suchen der besten und kostengünstigsten Routen steckt, die nicht immer unbedingt die schnellsten sind. Ich würde auf jeden Fall sofort wieder den Zug für meine Urlaubsreise nehmen, denn in Zeiten wie diesen scheint es mir das verlässlichste und gemütlichste Verkehrsmittel und ich hoffe sehr darauf, dass die Politik auf die umweltfreundliche Schiene aufspringt und Reisen wie die unsere begünstigt, da man auf Schnelligkeit und Umweltbelastung verzichtet, dafür Land und Leute kennenlernt und staatliche Unternehmen fördert.

Hafen von Ischia